Taufe von Horst Willke 1936. Von links:
Heinrich Kalbreier, Irmgard Schulze mit Baby Horst Willke,
Martin Ohlendorf, Hedwig Willke und Pate Gustav Neumann (Geselle
bei Firma Willke).
Irmgard Hermine Emma Schulze, geb. Pilster. geb. am 06.09.1902
in Braunschweig, gest. am 22.01.1994 in Hahausen. Auf Schloss
Derneburg bei ihrer Tante Auguste Pilster hat sie kochen
gelernt. Anschließend arbeitete sie als Hausmädchen in einem
Haushalt in Goslar. Am 17.03.1923 war die Eheschließung mit
Wilhelm Heinrich Karl Schulze, geb. 19.01.1899 in Hahausen,
gest. am 24.03.1961 in Seesen. Um 1927 erfolgte in Braunschweig
eine Ausbildung zur Hebamme. Durch Frau Schulze wurde in der
Region Seesen, Hahausen, Nauen vielen Kindern auf die Welt
geholfen.
Foto: 1936
SEESENER
ANZEIGER
Der Klapperstorch fährt BN 80-146
Mutter Schulze verhalf 2100 neuen Erdenbürgern zum ersten
Schrei
In dem großen Hause in der Jacobsonstraße in Seesen
erstrahlte ein großes Wohnzimmer in hellem Licht. Der Herr des
Hauses, Kinder und Schwiegerkinder, erwarteten das neue Jahr.
Ein dampfender Punsch stand bereit, aber irgendwie wollte keine
rechte Stimmung aufleben, weil die Mutter fehlte. Als die
Stimmung ihren Tiefpunkt zu erreichen drohte, es war schon 23.30
Uhr, ging die Haustürklingel, und alles wurde doch noch schön.
Gerade zur rechten Zeit kam Frau Irmgard Schulze noch an, um
ihrer Familie ein "Prosit Neujahr" zuzurufen.
Stunden vorher hatte sie im Krankenhaus eine werdende Mutter
betreut, aber wie so oft, wollte und wollte das neue Leben nicht
kommen. Mutter Schulze meinte schon, das würde wohl ein
"Neujahrsgruß" werden. Aber dann kam das Kind doch
noch 1954 zur Welt.
Wir berichteten bereits Anfang November, daß die Seesener
Hebamme Irmgard Schulze ihr silbernes Dienstjubiläum begangen
habe. In den nächsten Tagen wird ihr der Hebammenverein in
Seesen im Busch-Zimmer des "Goldenen Löwen" eine
kleine Feier ausrichten, mit Kaffee und Kuchen, Ansprachen und
Glückwünschen.
Fast 2100 Kinder stießen unter den Händen Frau Schulzes, mit
sanftem Klaps auf den hierfür bestimmten Körperteil
aufgemuntert, ihren ersten Schrei aus. Und die gleiche Anzahl
von Müttern überstand die schwere Stunde mit Hilfe von Mutter
Schulze, die tröstend zusprechen kann oder mit "Dönekens"
die Zeit des Wartens überbrückt.
Das Fahrrad reichte nicht mehr aus
Seit 1929 geht Frau Schulze ihrem verantwortungsvollen Beruf
nach. Elf Jahre lang betreute sie Nauen und Hahausen, bis sie
1941 nach Seesen kam und auch nach Herrhausen und Münchehof als
Arbeitsfeld zugewiesen erhielt. Schon damals konnte sie mit dem
Fahrrad die vielen Wege nicht mehr schaffen, Sie wurde
"motorisiert". 1948 schaffte sie sich ein zweites
Motorrad an. Der "Klapperstorch" führt die Nummer BN
80 - 146.
"Man muß viel Liebe und Geduld für diesen Beruf
mitbringen, sonst läßt man am besten die Finger davon"
sagt die Hebamme. Sie selbst hat ebenfalls vier Kinder zur Welt
gebracht. Einmal rief sie ein dringender Ruf nach Hahausen, als
sie ihren drei Wochen alten Säugling noch stillte. Kurz
entschlossen nahm sie das Kind mit nach Hahausen, und als sie
dort mit dem bekannten Klaps den ersten Schrei hervorgelockt
hatte, fragte der Vater, ins Zimmer hereinstürzend,
"Welches schreit nun eigentlich? Meins oder Deins?"
Herzhaftes lachen hilft in schwerer Stunde
Und herzhaft lachen kann Mutter Schulze, so ansteckend, daß die
werdenden Mütter nicht einmal merken, wie ihr eigenes Lachen
physische Hilfe leistet. Aber auch schwere Stunden liegen hinter
ihr, wenn die jungen Mütter keine Kraft mehr hatten vor
Erschöpfung zu sterben drohten. Dann kämpfte sie mit dem am
Bett stehenden Tode ein grausames Ringen, in dem sie meist
Sieger blieb.
Wie oft mußte sie in Bauernstuben ohne Licht während des
Krieges die Leben bedeutenden Griffe tun.
Ein Leben "auf Abruf"
Wer Mutter Schulze vor sich sitzen sieht, sprühend und voller
guter Laune, würde ihr die 52 Jahre kaum anmerken. Seit mehr
als 25 Jahren lebt sie gewissermaßen "auf Abruf". Ob
man sie aus der Operette im "Wilhelmsbad", vom
Mittagessen oder von der Silvesterfeier wegholt, stets ist ihre
Tasche gepackt und griffbereit und stets wartet "BN80 -
146" im Hausflur. Dann mag die Sonne scheinen oder der
Frost klirren, Regen niederprasseln oder Schnee die Sicht
versperren: der "motorisierte Klapperstorch" fährt
los, wenn er gebraucht wird.
Jahr 1954
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